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Von Dirk
Friedrichs
Der Löwenzug, wie er von den Priestern und
Bauern gleichermaßen gerufen wurde, war für das Königreich
Shovel das einschneidendste Erlebnis der jüngsten Vergangenheit. Keiner
konnte vorher die Ausmaße absehen, die dieses Ereignis mit sich ziehen
würde, und als die Ketten des Löwen erst einmal befreit waren,
vermochte sie ihm keiner mehr anzulegen.
Alles begann vor einem Jahr
in den Grenzlanden Shovels, in welches Priester Solamûrs ausgesandt
wurden: die Vorhut des neuen Kultes, dessen Ziel es war, eines Tages alle
Inselbewohner zu seinen Gläubigen zu zählen. Es waren mutige
Wanderprediger und gelehrte Leute, welche ein Leben lang gegen die dunklen,
ungläubigen Seelen kämpften, um sie für das Licht ihres Gottes
zu gewinnen. Nicht selten dauerte es Jahre, bis sich die anfängliche
Abneigung eines Landstriches gelegt hatte und die Priester mit Wort und Tat von
ihrer Mission überzeugen konnten.
Doch soweit sollte es in den
Grenzlanden nicht kommen: Eines Tages brachen zwölf Prediger beim ersten
Licht der Sonne von der Nordwacht auf, um ihre ausgewählten
Dörfer aufzusuchen, alle Warnungen des Hauptmannes Scofolk der
Nordwacht in den Wind schlagend.
Mikas, der Priester
Angeführt wurden diese Gläubigen Solamûrs vom Ehrenwerten
Mikas, welcher schon bei der Bekehrung einiger Skanten beträchtliche
Erfolge verbuchen konnte. Er hatte sich damals allein in das Skantenland
gewagt, und als er eines Abends auf die Reiter unter Khan Zofog
stieß, welche säbelrasselnd auf ihn zustürzten, sah er sich
schon am Ende seines Lebensweges angelangt, da kam ihm die rettende Idee.
Da er wußte, wie sehr das Skantenvolk Zauberei verachtete,
entschied er sich, stolz stehenzubleiben und fing an, die wilden Reiterhorden
kräftig auszulachen. Dieses erstaunte die Skanten so sehr, daß der
Schamane hervorkam und sich diesen Menschen genauer ansah. Verrückt sei
er, war seine einfache Erklärung, mit der sich sein Khan allerdings nicht
zufrieden gab. Er stieg ab und stellte dem Fremden eine Frage: Sag mir,
wieso lachst du uns aus? Weist du nicht, wer ich bin?
Mikas
beherrschte Ugguri, die Sprache der Skanten, und gab zur Antwort: Ich
weiß, wer ihr seid, Khan Zofog, und um euch zu erklären, warum ich
lache, möchte ich euch eine Frage stellen, wenn ihr erlaubt: Durch was
erhält ein König den Respekt von seinem Volk?
Zofog
stutzte erneut über diesen Mut und erwiderte: Weil ihr Leben in
seiner Hand liegt.
Ein Meuchelmörder hat auch mein
Leben in seiner Hand, doch ihn verachte ich, nicht jedoch den König. Es
muß noch mehr sein...
Zofog gefiel langsam dieses
Rätselspiel, zumal er glaubte, daß mit dem König er gemeint
war. An sich herunterblickend führte er fort: Er muß auch von
stolzer Natur ein, ein Mann mit Ehre, den jeder respektiert und dem jeder sein
Leben geben würde. Bei den letzten Worten schaute er sich unter
seinen Kriegern um, ob sie seinen Worten auch genau gefolgt waren.
Da sprecht ihr wahr. Es ist der Respekt vor seinem Herrscher, welches das
Volk in die Knie zwingt, nicht seine Macht über Leben und Tod. Genau dies
führt mich zu euch: Ich komme, um euch zu sagen, daß die Welt
jenseits eurer Steppenländer nur noch Spott für den Khan und seine
Reiter über hat.
Was sagt ihr? Zofog hatte
schon seinen Krummsäbel gezückt und hielt ihn drohend über dem
Priester Solamûrs. Warum achten sie meine Skanten nicht?
Sie achten euch deshalb nicht, weil euer Säbel nur bis zu
meinem Kopf reicht, niemals jedoch alle Menschen aller Königreiche
bedrohen kann. Und das einzige, was die Menschen über euch Skanten wissen,
ist, daß der Säbel ihre einzige Sprache ist.
Zofog
konnte seinen Zorn nur mühsam zurückhalten: Euer König ist
nicht anders. Das Schwert ist seine einzige Sprache, und wer nicht gehorcht,
der stirbt.
Oh nein, Khan Zofog, da irrt ihr euch. Alle
Untertanen verehren ihren König auf das höchste, da in ihm ein Teil
von Solamûr lebt, des höchsten Gottes unter den Menschen. Alle
Könige dieser Welt sind von Geburt an gesegnet von Solamûr, und wer
ihm Treue schwört, den läßt er stark und mächtig auf
seinem Thron werden. Und alle Untertanen gehen in die Knie vor den Gesegneten
Solamûrs, alle Welt verehrt sie und preist ihre Namen. Wollt ihr auch so
gepriesen werden und soll euer Name von Küste zu Küste mit Ruhm und
Ehre in Verbindung gebracht werden? Wollt ihr das...?
Von diesem
Tage an huldigte ein Stamm der Skanten Solamûr, natürlich ohne den
Geistern und anderem Schamanismus abzuschwören, doch dies von den Skanten
zu erzwingen, überließ Mikas schlauerweise späteren Priestern
und Ordenskriegern.
Zurück in Cal, erhielt Mikas von Ras
Thevis, dem obersten Hohepriester Solamûrs, die Weihe des
Ehrenwerten Priesters, welcher sich vor seinem Gott mit besonderen Taten
hervorgetan hat; und damit genoß Mikas großes Ansehen im
Königreich (im Gegensatz zu den Skanten). So hielt er eines Tages die Zeit
für gekommen, erneut auf eine Bekehrungsmission auszuziehen, diesmal in
die Grenzlande von Shovel...
Die Ermordung Mikas
Seneirl war das erste Dorf in der Nähe der Nordwacht, und es zeigte
zunächst ähnliche Anzeichen der Ablehnung wie damals die Skanten,
doch bestärkt von Mikas Ruhm traten die Wanderprediger mutig unter die
Bewohner der Siedlung. Mikas hatte gerade begonnen, sein Wort zu erheben, da
sprang eine junge Frau vor ihn und beschimpfte Mikas, daß die Krieger
seines Gottes sie einst unter dem Vorwand des Ritualmordes an einem Kind aus
ihrem Heimatdorf gejagt hätten, nicht ohne sie vorher noch zu
schwängern. Mit diesem kleinen Kind auf dem Arm wandte sie sich darauf an
die Dorfgemeinschaft, welche ihr Leid kannte. Schnell waren Dreschflegel und
Heugabeln zur Hand und die Priester umzingelt.
Die Situation war kurz
vor dem Eskalieren, da besann sich Mikas auf seinen alten Trick, denn er
merkte, daß er mit Worten nicht mehr weiter kam: er fing an, lauthals zu
lachen! Doch weit kam er nicht, da hatte die junge Mutter schon ein Messer
gezückt und es in seinen Hals gerammt. Aus dem Lachen wurde ein
Röcheln, bis Mikas sehr zum Entsetzen seiner Mitbrüder in den Matsch
fiel und sein Leben aushauchte. Keiner von ihnen überlebte das
anschließende Massaker, an dem fast das ganze Dorf beteiligt war. Und
damit war der Grundstein für den Löwenzug im folgenden Jahr gelegt.
Hauptmann Scofolk konnte nicht umhin, sich nach einigen Wochen nach
dem Verbleib der Wanderprediger zu erkundigen, und so kam er auch in das Dorf
Seneirl. Obwohl dessen Bewohner die Spuren ihrer Bluttat längst verwischt
hatten, las Scofolk in den Mienen der Bauern, daß Mikas hier bekannter
war als vorgegeben. Er schnappte sich einen, von dem er wußte, daß
er ihn zum Reden kriegen würde, und erfuhr somit die ganze Tragödie.
Obwohl er alles andere als ein eifriger Anhänger Solamûrs war und
wußte, daß seine Untertanen nicht anders dachten, ahnte er den
Ärger, den dieses Massaker heraufbeschwören würde. So rief er
alle Einwohner Seneirls herbei, trat vor sie und erklärte ihnen, daß
für ihn dieser Vorfall niemals passiert sei. Er werde erklären,
daß Mikas hier durchgereist sei und Gerüchten zufolge zu weit nach
Norden gezogen wäre. Dort wurde er mit seinem Gefolge dann Opfer eines
Überfalls von Barbaren. Falls je in Seneirl Fragen über Mikas
gestellt werden würden, so sei diese Geschichte die einzige Antwort.
Sprachs, wendete sein Pferd und ritt zurück zur Nordwacht.
Zeltans Ermittlungen
Kaum angekommen, ließ er einen Brief
mit ähnlichem Inhalt aufsetzen, und hieße der verschwundene Priester
nicht Mikas und trüge nicht den Titel eines Ehrenwerten Priesters,
hätte man das Schicksal dieser Prediger wohl auf sich beruhen und in der
Geschichte versinken lassen.
Doch als Cantlion Unbar, seines
Zeichens Hohepriester Solamûrs zu Shovel, diesen Brief las, wußte
er, daß er nun Ordenskrieger und Priester ausschicken mußte, um den
Leichnam Mikas ausfindig zu machen. Die sterblichen Überreste mußten
geborgen und nach Cal zum Hohetempel überführt werden, da es ein
Sakrileg in den Gesetzen seines Gottes war, einen Ehrenwerten Priester auf
unheiligem Boden zu bestatten.
So erreichte ein halbes Jahr nach Mikas
Ermordung ein Dutzend Ordenskrieger unter Priester Zeltan die Nordwacht.
Zeltan wurde von Cantlion Unbar ausgewählt, weil er schon einige Erfahrung
mit den Ungläubigen Shovels besaß und bei einer heiligen Mission wie
dieser vor keiner weltlichen Gefahr zurückschreckte.
Hauptmann
Scofolk standen Schweißperlen auf der Stirn, als er Fragen zu Mikas
Schicksal beantworten mußte, und als Zeltan ihn nach seiner eigenen
Gläubigkeit fragte und Scofolk noch einige Fehler bei seinen auswendig
gelernten Glaubensregeln unterliefen, wußte der Priester, daß er
hier keinesfalls einen Verbündeten vor sich sitzen sah.
Seine
Spur führte ihn recht schnell in das Dorf Seneirl, welches der letzte Ort
war, wo Mikas gesehen wurde. Die Antipathie der Bewohner gegenüber seinem
Glauben spürte er sofort, was in diesen Regionen noch nichts
ungewöhnliches war, nur waren diese Bauern zu erpicht darauf, ihn
unbedingt davon überzeugen zu wollen, daß Mikas sofort weiter nach
Norden gezogen war. Auf seinen Bekehrungsversuch angesprochen, meinten die
Bauern nur, daß Mikas zuerst weiterziehen wollte, um auf seiner
Rückreise Solamûrs Wort zu verkünden. Spätestens hier
wurde Zeltan mißtrauisch, da ein Priester immer zuerst das erste Dorf auf
seiner Reise zu bekehren versucht, um Führer und Fürsprecher für
weitere Dörfer zu gewinnen.
Zeltan reiste darauf scheinbar nach
Norden, nur um von seinen Ordenskriegern des Nachts eine Mutter mit Kind
gefangennehmen zu lassen. Mit dem Messer an der Gurgel des Kindes wurden der
Bauersfrau alle Einzelheiten über die Ermordung der Prediger entlockt, bis
hin zu den Worten Scofolks, daß er die Tat verheimlichen werde. Zeltan
ließ sich darauf die Stelle zeigen, wo Mikas mit seinen Getreuen
verbrannt wurde, und fand dessen besonderes Glaubensamulett, welches ihm damals
vom Hohepriester zu Cal verliehen wurde.
Der Aufruf zum
Löwenzug
Als Zeltan in Shovel seinen Bericht vortrug, war das
Entsetzen in Cantlion Unbars Augen groß. Der alte Hohepriester sah sich
nun von einer Verschwörung umgeben, in welche selbst die Anführer und
der Adel mit eingebunden war. Nur so war zu erklären, warum die Bekehrung
zum Solamûr-Glauben schon viele Jahre in Anspruch nahm, und die Ermordung
Mikas war der beste Beweis. Vielleicht wußte sogar der König von der
Tat und hieß sie insgeheim gut. Von diesen für den Orden
katastrophalen Gedanken erfüllt, schrieb Cantlion Unbar an den
höchsten Priester Solamûrs, den Hohepriester zu Cal, einen Brief, in
dem er ihn inbrünstig um tatkräftige Hilfe bat.
Sprecher
Solamûrs auf Caedwyn, Ras Thevis der Erhabene, erhielt den Brief
und faßte einen Entschluß. Er wartete bis zum Geburtstag
König Odelfins, zu dem sich alle höchsten Adligen des
Königreiches seit eh und je einfanden, welche im Gegensatz zum König
immer noch in Solamûr ihren höchsten Gott sahen. Ras Thevis der
Erhabene hielt vor allen Gästen im Palast eine Rede, mit soviel Elan und
Inbrunst vorgetragen, daß sich ihr kaum einer entziehen konnte - und er
sprach von Shovel. Er fragte, wie es denn möglich sein kann, daß ein
Nachbar des Königreiches den Namen Solamûrs öffentlich
verspotten, seine Tempel zerstören und heilige Männer wie Mikas
töten könne, ohne daß etwas unternommen werde. Die Ermordung
Mikas war für alle Anwesenden neu und die Empörung dementsprechend.
Ras Thevis schilderte alle Untaten, welche sich in den vergangenen Jahren in
Shovel ereignet hatten, freilich aus etwas einseitiger Sicht, um am Ende seiner
Rede allesamt zu fragen, ob ihre Untätigkeit wirklich Solamûrs Wille
sein könne. Selbst die Ungläubigsten des Adels empörten sich, da
sie in diesen Übergriffen auch ihre eigene Stellung angetastet sahen. Was
würde passieren, wenn diese Bewegung nach Cal übergreift und die
Untertanen den Glauben an das Recht verlieren, daß es der Wille der
Götter ist, daß sie vom Adel beherrscht werden...
Auch
König Odelfins Rede, daß dies eine Angelegenheit von Duncan
III., dem König Shovels sei, und er alles versuchen werde, um dem
Solamûr-Kult zu helfen, konnte die Gemüter nicht beruhigen, zu
glaubwürdig schien der Bericht aus den Grenzlanden Shovels.
Die
Gläubigsten der Adelsleute traten schließlich entschlossen hervor
und schworen, ihr Schwert zu ziehen und gegen die Feinde Solamûrs ins
Feld zu führen, bis auch die letzte Bastion des Unglaubens besiegt sei.
Ras Thevis der Erhabene hatte sein Ziel erreicht, sein Glauben trug gegen den
aufkommenden Templerglauben in Cal einen erneuten Sieg davon und auf den
König fiel ein dunkles Licht, da sein Schwert in der Scheide blieb.
So segnete er nicht nur einen jeden Adligen, der an diesem
Löwenzug teilnahm, er befahl auch seinen Priestern, auf die Straßen
zu gehen, um vom Löwenzug zu künden oder zur Pilgerfahrt nach Shovel
aufzurufen, um Tränen in der Kapelle des Mikas zu vergießen (diese
war von Cantlion Unbar errichtet worden: Sie wurde durch eine Statue von Mikas
geschmückt, an deren Hals das aufgefundene Glaubensamulett hing). Anfangs
war dies nur als weiterer Schachzug von Ras Thevis geplant, die Macht des
Solamûr-Glaubens in der Bevölkerung zu stärken, doch das
Ergebnis seiner Verkündigungen überraschte selbst ihn: eine
Empörungswelle ging durch alle Einwohner Cals und verbreitete sich wie ein
Lauffeuer auf den Märkten und großen Handelsstraßen. Nach
wenigen Wochen wußte jedermann im Königreich von den Worten des
Hohepriesters und dem Willen einiger Adliger, bewaffnet nach Shovel zu ziehen.
Längst waren neue Geschichten zu dem Märtyrertod Mikas hinzugekommen,
welche an den ungläubigen Bewohnern Shovels kein gutes Haar ließen -
jeder wußte ein neues Gerücht zu erzählen, angefangen von
Kindesentführungen über Brunnenvergiftungen bis zum Verbreiten
schlimmer Krankheiten.
Vom Auszug der Gläubigen
Da die Laienpriester allen Teilnehmern des Löwenzuges Solamûrs ewige
Segnung versprachen, nahmen ganze Scharen von Bauern und einfachen Leuten,
welche oft ohne Arbeit waren und sich ein besseres Leben im eroberten Shovel
versprachen, ihre Waffen zur Hand und zogen mit Frau und Kindern gen Moisen.
Von dort, so besagten die neuesten Gerüchte, werden bald Schiffe zur Insel
übersetzen.
Der Teil des Adels hingegen, der feierlich in des
Königs Palast seinen Schwur geleistet hatte, fing an, Söldner
anzuwerben und kleine Streitheere aufzustellen. Bei den einen waren es
hauptsächlich religiöse Gefühle, welche sie zu dem Schwur
bewogen hatten, während andere in dem Löwenzug ein profitables
Geschäft sahen, da sie sich zu Herren der neu eroberten Gebiete im
Grenzland Shovels ausrufen und sich unter das Banner des shovelischen
Königs stellen würden. So waren es gerade Adlige von niederem Status,
welche den Schwur ablegten, während fast alle Mitglieder des calschen
Hochadels Abstand vom Löwenzug nahmen. Sie versuchten sogar vehement, die
Bauern davon abzuhalten, ihre Lehnsgebiete zu verlassen und die Äcker
unbewirtschaftet zurückzulassen, doch meist ohne Erfolg.
So
erlebte Moisen mit der Ankunft der Löwenkrieger, wie sie sich
selbst nannten, Tage des Chaos und des Glaubenseifers, welchen der Herzog von
Moisen kaum Herr werden konnte. Inzwischen hatte Ras Thevis den König
gebeten, seinen Löwenkriegern die königliche Flotte zur
Überfahrt zur Verfügung zu stellen, und als dieser ablehnte,
Verhandlungen mit der Händlergilde aufgenommen. Die Kauffahrer wurden
schließlich weniger mit gläubigen Worten, sondern vielmehr mit barer
Münze überzeugt, ihre Schiffe dem Löwenzug anzuvertrauen. So
segelte im Frühjahr diesen Jahres [welches Jahr?] die erste Flotte
gen Shovel, um mit ihren Kriegern in ein Königreich einzufallen, was nicht
das ihre war, und um das Recht selbst in die Hand zu nehmen.
Die
adligen Löwenkrieger zogen es vor, zu warten, bis diese schwer zu
bändigende Meute aus Moisen verschwunden war, oder benutzen die Häfen
von Ferport im Norden oder Tran im Süden als Ausgangspunkt ihrer
Unternehmungen.
So waren es drei Flotten und drei Heere, welche
über verschiedene Wege in Shovel Fuß zu fassen versuchten und auch
zeitlich versetzt ankamen. Während der Löwenzug, welcher sich
vornehmlich aus Leuten des Volkes zusammensetzte und der mit Abstand
größte Teil von den dreien war, in der Hauptstadt landete und
später unter Führung des Priesters Zeltan nach Norden zog, segelten
die Schiffe aus Ferport unter Mubarag, dem Grafen von Shanan,
sogleich gen Anon, einem größeren Dorf an der Ostküste
Muuralankujas. Das dritte Heer unter der Führung Drakans, des
Freiherrn vom Travelwald, und des Ehrenwerten Priesters Bardom
der Jay Abbey traf erst nach der Abreise des ersten Heeres in der Hauptstadt
Shovel ein.
Alle drei Teile des Löwenzuges sollen im folgenden
einzeln betrachtet werden.
Duncans Worte
Nachdem
Hohepriester Cantlion Unbar seinen Brief mit der Bitte um Hilfe abgesandt
hatte, bewahrte er Stillschweigen um die Ermittlungen Zeltans, da er in
König Duncan III. ebenfalls einen Verräter an Solamûr sah. Dem
König entgingen nicht die Versuche Cantlion Unbars, ihn in den folgenden
Wochen zu meiden, wo es nur möglich war und erbat schließlich eine
Aussprache mit seinem Hohepriester, den er insgeheim aufgrund seines
Mißtrauens verfluchte. Da Unbar in diesen Tagen das Antwortschreiben von
Ras Thevis erreicht hatte, welches ihm den Aufruf zum Löwenzug mitteilte,
hielt er dem König Shovels daraufhin eine Donnerpredigt, in der dieser
sich alle Beschimpfungen vom Zorn Solamûrs, welcher über ihn kommen
werde, bis zu seinem eigenen Unglauben anhören mußte. Am Ende legte
ihm der Hohepriester als Bestätigung den erhaltenen Brief vor und schaute
mit stolzerfüllter Brust auf den König herab.
Duncan III.
glaubte, seinen Augen und Ohren nicht zu trauen. Da erzählte ihm dieser
Priester, daß er es für gut befunden habe, das Land in einen
Bürgerkrieg oder schlimmeres zu stürzen, weil ein allzu mutiger
Priester bei einem Bekehrungsversuch erschlagen wurde. Und weil es hier nicht
schon genug Fanatiker und Märtyrer in Solamûrs Reihen gab, sandte er
gleich nach einem ganzen Heer von Fanatikern und Märtyrern aus dem
nächsten Königreich. Ungläubig schaute er erst seine Berater,
dann den Hohepriester an, bis sein Kopf zornesrot geschwollen war.
Urplötzlich zog er sein Schwert, holte weit aus und schlug die rechte Hand
Cantlion Unbars ab, ehe dieser begreifen konnte, was geschah.
Wer seit ihr, Mann, daß ihr es wagt, über mein Volk richten zu
wollen? Sagt eurem Gott, daß ich neben meiner Hand keine andere dulden
werde, die ihre Finger nach meinem Land ausstreckt!
Blutend und
wimmernd zog sich der Hohepriester aus dem alten Thronsaal zurück, und mit
diesen Worten war das dünne Band zerrissen, welches seit Jahren zwischen
König und Priesterschaft gewoben wurde.
Der Löwenzug des
Volkes
Das erste Bild, was sich den ankommenden Löwenkriegern
im Hafen der Hauptstadt Shovel bot, war bizarr. Während in den ersten
Reihen Priester und Ordenskrieger Solamûrs Aufstellung genommen hatten,
standen hinter ihnen Soldaten des Königs bereit, um der Meute sogleich
anzuzeigen, wer hier das Sagen hatte. Zeltan hatte es zu seiner
Herzensangelegenheit erklärt, die gläubigen Streiter auf dem rechten
Wege zu führen, was auch von Cantlion Unbar gebilligt worden war. So lud
er die ankommenden Massen ein, zum Tempel zu pilgern und ein Gebet für
Mikas zu sprechen. Doch einige Löwenkrieger waren
überschäumenden Mutes und wollten ihr Heil eher in der Waffe als im
Gebet suchen, so daß sich hier schon die ersten Gruppen vom
Haupttroß lösten.
An den folgenden Tagen kam es immer
wieder zu Unruhen in den Gassen und Gasthäusern, welche sogar noch die
Vorfälle von Moisen in den Schatten stellten. Es waren erfundene
Gerüchte (von denen einige auch ganz bewußt die falschen Ohren
fanden), welche von Ungläubigen oder Anhängern des alten Glaubens in
der Stadt kündeten. Allen Warnungen der Soldaten zum Trotz bildeten sich
nächtliche Fackelzüge, welche zum Haus eines Verräters an
Solamûr zogen und es stürmten oder in Brand setzten, ehe Rettung
nahte.
Am nächsten Morgen bot der königliche Ausrufer
demjenigen eine große Belohnung, welcher die Schuldigen des
nächtlichen Attentats melden konnte, doch die Erfolge waren begrenzt.
Vielmehr verschlimmerte sich nun auch der Konflikt zu den königlichen
Soldaten, da sie als Helfer oder Verbündete der Ungläubigen galten.
So endeten einige Gasthausabende in einem wahren Blutbad, bei dem einmal viele
Löwenkrieger, ein anderes Mal etliche Soldaten des Königs den Tod
fanden.
Dazu traten die schlagkräftigen Truppen des
Löwenzuges insgeheim in einen Wettstreit, wer die größte Anzahl
an Ketzern aufspüren und töten konnte. Bald sah jedermann ein,
daß schnell etwas passieren mußte.
Cantlion Unbar
distanzierte sich von den Unruhen und gab Zeltan die Schuld, da er seine
Gläubigen lenken und führen müsse. Dieser sah sich in der
ausweglosen Lage, bei seinen täglichen Predigten ein Feindbild aufbauen zu
müssen, welches jedoch nur allzu leicht auf einige Bewohner der Stadt
ungemünzt werden konnte. Duncan III. sah seine schlimmsten
Befürchtungen bestätigt und fluchte nun lauthals über die
Solamûrbrut. Schließlich befahl er dem Hohepriester,
innerhalb von drei Tagen alle Löwenkrieger aus der Stadt zu bringen, sonst
werde er dies mit seinen Soldaten gewaltsam tun.
Die
Löwenschlacht
Überstürzt und ohne richtiges Ziel
rief somit der Priester Zeltan zum Aufbruch nach Norden. Das Heer der
Löwenkrieger sammelte sich vor den Toren der Stadt und brach nach dem
dritten Tag auf. Nur vereinzelte Gruppen wurden zurückgelassen, welche
inzwischen längst die Lust an einem Heerzug verloren hatten und
versuchten, zurück nach Cal zu gelangen. Der Löwenzug wurde indessen
vom königlichen Heer auf Schritt und Tritt bewacht, da sich ähnliche
Vorfälle in den Dörfern wiederholen konnten.
Zeltan
mußte sich derweil eingestehen, daß er keinesfalls das Zeug zu
einem Heerführer besaß. Er konnte zwar mitreißende Reden
schwingen und den Geist eines jeden in Flammen setzten, scheiterte aber an so
dringenden Problemen wie der Nahrungsversorgung und Unterkünften. Momentan
war Hochsommer, und das war sein Glück, denn die meisten konnten im Freien
schlafen oder Wasser aus dem großen Strom Plenisch schöpfen.
Doch mit jedem Tag, den er sich von der Hauptstadt entfernte, nahmen die
Probleme zu.
Der Troß besaß keinerlei Ordnung, stets
stürmten wildgewordene Bauern vor und plünderten einzelne
Gehöfte, wenn sie nicht vorher von den Soldaten geschnappt wurden,
während die Alten und Kranken zurückfielen und erkennen mußten,
daß Solamûr ihnen nicht seine Gunst schenkte und sie von allen
Krankheiten heilte. Während dieser Tage stieg die Wut jedes
Löwenkriegers gegenüber den königlichen Soldaten ungemein an, da
diese sie anscheinend hindern wollten, zu ihren Feinden oder etwas Nahrung zu
gelangen. Zudem war jenes Heer gut organisiert und konnte über
Lebensmittel nicht klagen. Es kam, wie es kommen mußte und wie es Duncan
III. schon vorausgesehen hatte: der Löwenzug griff eines Morgens das
königliche Heer an!
Priester Zeltan hatte vorher erkannt,
daß er mit diesen Bauernscharen niemals bis zur Nordwacht im Grenzland
kommen würde, und begann langsam, das von seinen Kriegern neu entdeckte
Feindbild zu übernehmen. Mit der Gewißheit, daß Solamûr
ihm beistehen werde, hoffte er, die Vorräte und Zelte der Armee in seinen
Besitz zu bringen und befahl zum Angriff. Da er auch in den taktischen Wegen
der Kriegführung alles andere als bewandert war, wurde die
Löwenschlacht, wie sie später heißen sollte, zum totalen
Fiasko. Zeltan fiel in der Schlacht, genauso wie viele andere Priester und
Ordenskrieger, so daß dieser eine Tag dem Solamûr-Glauben in Shovel
mehr Verluste brachte als all die Jahre vorher zusammen...
Die
Löwenkrieger, welche ihr Heil in der Flucht gesucht hatten, zogen nach Cal
zurück oder blieben als Räuber oder Bettler im Land. Für sie war
der Löwenzug beendet und alle hatten besseres zu tun, als sich einem
späteren Heer anzuschließen. Oft sah man in jenen Tagen ein
verdrecktes Solamûr-Banner auf den matschigen Straßen liegen.
Das zweite Heer
Einen Monat später erblickten die
Schiffe des Grafen Mubarag von Shanan die Küstenlinie Muuralankujas. Dort
ahnte kein Einwohner, was für ein Unheil über ihn kommen würde.
Der einzige spärliche Kontakt des wilden Nordlandes zu den
Königreichen im Osten und Süden bestand in seltenen
Händlerschiffen, welche Felle gegen Getreide oder Metallwaren handelten.
Und nun sahen die Nachtwachen des Dorfes Anon mit dem Nebel auch
große Kriegssegler ohne Beleuchtung kommen, welche mit leisen
Ruderschlägen direkt auf ihren Hafen zusteuerten. Der Alarmschrei
ließ jedermann auffahren und zu seinen Waffen greifen, dann drangen auch
schon die ersten Todesschreie an ihre Ohren. Anon wurde im Dunkel der Nacht
eingenommen und niemand verschont, standen diese Menschen doch für das
Übel auf der Welt, welche den Göttern lästerten und Menschen wie
Mikas erschlugen.
Zufrieden bezog Mubarag im eroberten Dorf Quartier
und plante seine nächsten Schritte. Ihm wurde gemeldet, daß es
einigen Barbaren gelungen war, der nächtlichen Falle zu entkommen, so
daß er in naher Zukunft mit Angriffen weiterer Kriegerstämme rechnen
mußte. Da es ihm unklug erschien, überstürzt ins Hinterland
aufzubrechen und damit seine Versorgungslinie ungesichert zu lassen, befahl er,
Anon besser zu befestigen. Das entsprach zwar nicht dem Geist vieler Ritter,
welche den Toten von letzter Nacht noch viele weitere hinzufügen wollten,
doch sie beugten sich dem Grafen und beschränkten sich auf
Patrouillenritte.
Da in Shovel niemand Kenntnis von dieser Streitmacht
hatte, schickte der Graf mutige Reiter in den Süden, um ihre Eroberung zu
melden. Insgeheim hoffte der Graf, daß er die Region rund um Anon halten
und später für sich annektieren könne, um dann den Bauern des
ersten Heeres Ackerland zur Verfügung zu stellen. Von ihrer verheerenden
Niederlage in der Löwenschlacht sollte er erst viel später erfahren.
Tatsächlich blieb eine Antwort von Muuralankujas Clans nicht aus.
Sobald sie von den Überlebenden aus Anon die Tragödie gehört
hatten, wurde ein Rat einberufen, dem jedes wichtige Oberhaupt der Umgegend
beiwohnte. Schnell wurde beschlossen, zu den Waffen zu greifen und die ersten
Pläne geschmiedet.
Fünf Wochen nach der Blutnacht von Anon
zogen aus allen Richtungen Barbaren herbei, welche die inzwischen zur Festung
umgebaute Siedlung umschlossen. Im Morgengrauen des fünften Tages nach
ihrer Ankunft begann der Angriff: Mit den gefürchteten Drachenbooten von
See und Brandpfeilen und Steigleitern von Land stürmten die Barbarenhorden
mit einer Heftigkeit vor, die die kühnsten Vermutungen Graf Mubarags
überstieg. Seine Mannen hielten dennoch stand, dank ihrer
Metallrüstungen und einer guten Moral. Doch es war noch nicht
überstanden...
Ein neuer Than
Die Barbaren zogen
wieder ab, und obwohl Graf Mubarag dahinter eine List verborgen sah und Ritter
ausschickte, um sie zu beobachten, war es eine List, die sich ihm entzog: Alle
Krieger kehrten in ihre Siedlungen zurück, als schien es der Wille der
Götter zu sein, daß diese Festung nicht in ihre Hände fallen
konnte. Forsche Pläne seiner Ritter, ihren Rückzug erneut
anzugreifen, schlug der Graf in den Wind, da er immer noch keine Nachricht aus
Shovel hatte und das Bauernheer ausblieb. Nur mit einer Verstärkung
wäre an ein Weiterziehen überhaupt zu denken, wie er den Rittern
klarmachen konnte. Und so nahm die Grafschaft (oder sollte es schon bald ein
Herzogtum sein...?) Anon immer mehr Gestalt an, da Mubarag nicht im geringsten
daran dachte, auch nur einen einzigen seiner Krieger sinnlos im Löwenzug
gegen die Barbaren zu opfern.
Für die meisten Bewohner
Muuralankujas war es tatsächlich der Wille der Götter, daß sie
ihr Dorf nicht zurückerobert hatten, doch es gab einen unter ihnen,
welcher dies anders sah. Er hieß Mor-Goral und war einer der
Überlebenden der Blutnacht von Anon. Damals war er ein angesehener Krieger
seines Clans, welcher sogar auf dem besten Wege war, das neue Stammesoberhaupt
zu werden: Die ersten beiden Proben hatte er schon erfolgreich abgeschlossen,
da erfolgte der Angriff. Nun faßte er ein neues Ziel, und es war ein noch
größeres als jenes zuvor: er wollte Than werden!
Seit
Generationen galt das Amt des Thans nur noch als eine Geschichte aus
längst vergangenen Tagen. Niemand wußte, welche Prüfungen es zu
bestehen galt, um Oberhaupt aller Clan-Anführer zu werden, nur noch der
Ort seiner Herrschaft war überliefert: das Heim in der
Nähe des Wolfswaldes.
Dorthin begab sich Mor-Goral, und damit
begannen seine Abenteuer und Götterproben, die an anderer Stelle
erzählt werden sollen. Hier reicht es nur, zu erwähnen, daß es
ihm am Ende gelang, sich zum Than über ganz Muuralankuja zu erheben. Er
einte alle Stämme unter sich, und da er ein strenger Führer war,
groß und kräftig von Gestalt, erhaben und weise im Auftreten, rief
er alle seine Krieger zu den Waffen, um erneut gegen Anon zu ziehen - und alle
gehorchten.
Dieser zweite Angriff traf das Land des Grafen Mubarag
völlig unvorbereitet, zumal inzwischen fast ein halbes Jahr vergangen war.
Längst war dem Grafen klar, daß keine Bauern kommen würden,
während das dritte Heer auch nicht zu ihm gelangen konnte. Also warb er
inzwischen im alten Königreich Cal viele Bürger an, welche durch
übertriebene Versprechungen seine Schiffe bestiegen hatten, um ein neues
Leben zu beginnen. Als sich das erste Schiff der kleinen Flotte dem Hafen von
Anon näherte, erblickten die Siedler schon die Rauchwolken.
Von
dem kurzen Ruhm des Grafen Mubarag von Shanan blieben nur noch Trümmer und
verkohlte Leichen, selbst jedes Tier war getötet, jede Pflanze verbrannt
worden, welche unter der Hand des Grafen ihr Leben gefunden hatte. Mor-Goral
hatte den Grafen eigenhändig erschlagen, als dieser vor seinen
Füßen winselte und um Gnade bat. So stachen die Schiffe der Siedler
erneut in See, zurück in ihr Heimatland, um dort vom Schicksal des Grafen
und seiner Mannen zu künden.
Der Zug unter Drakan
Der Freiherr vom Travelwald war der Anführer des dritten Heeres, welches
von Tran aus die Hauptstadt Shovel anlief. Sein Heer an Söldnern war
weitaus kleiner als das des Grafen Mubarag, dafür hatte er sich
einverstanden erklärt, Bauern in seinen Löwenzug mit aufzunehmen.
Zusammen mit dem Ehrenwerten Priester Bardom, welcher für den rechten
Geist bei dem Unternehmen sorgen wollte, hatte sich auch der Freiherr viel
vorgenommen: er wollte hinausziehen bis zur Nordwacht, wo nach den Worten von
Ras Thevis der Unhold leben sollte, der das Massaker an Mikas gutgeheißen
hatte.
Das Verhängnis des ersten Heeres in der Löwenschlacht
war ihm bekannt, da er erst ein Vierteljahr nach diesen Geschehnissen die Insel
erreichte. Die Gerüchte hatten zwar nicht die Umstände erklärt,
wie es zu dieser Schlacht zwischen Königstruppen und Löwenkriegern
gekommen war, doch Drakan hatte ebenfalls von den unkontrollierbaren
Zuständen in Moisen gehört und ahnte, daß diese wilde Meute von
niemanden im Zaum gehalten worden war und es somit zu dem Unglück kam.
Um Duncan III. mit seinem Heer einen weiteren Schock zu ersparen,
segelte er mit seinen Beratern mit einem Schiff eine Woche vor seiner
Streitmacht aus. Seine Ankunft verursachte längst nicht das Aufsehen, wie
es beim ersten Heer der Fall gewesen war, zumal sich der Solamûr-Kult
eine blutige Nase geholt und aus allen militärischen Aktionen
zurückgezogen hatte. So erbat Drakan um eine Audienz beim shovelschen
König - ohne seinen Priester Bardom, denn auch er hatte von der Fehde
Duncans mit dem Sonnenkult gehört - und wurde bald vorgelassen.
Der Freiherr Drakan war nicht nur ein kühner Heerführer, der es sich
nicht nehmen ließ, mit seiner Ritterschar stets in vorderster Reihe zu
kämpfen, sondern vor allem auch ein listiger Diplomat. Noch ehe der
König ihn begrüßen konnte, begann er seine Klage über
wildgewordene Untertanen, welche wohl glaubten, selbst herrschen zu
können, seien dies nun Bauernheere oder Laienpriester. Wie sehr bedauere
er den Vorfall vor drei Monaten, und welch gutes Beispiel gäbe die
Löwenschlacht dafür ab, wenn Männer des Geistes versuchten, sich
in weltliche Belange einzumischen. Drakans Lamentieren hätte noch Stunden
andauern können, wäre Duncan nicht von seinem alten Eichenthron
aufgesprungen, um diesen Ehrenmann zu umarmen. Mit den Worten, daß er
schon glaubte, der einzige vernünftige Mensch in einer Zeit der Unvernunft
geblieben zu sein, lud er Drakan ein, sein Gast zu bleiben, so lange es ihn
hier halte.
Richter von Königs Gnaden
Nachdem der
Freiherr eines Abends Duncan über seine Pläne informiert hatte und
dabei sein Versprechen abgegeben hatte, sich allen Wünschen des
Königs zu fügen, betonte er das Verbrechen, welches der Herr der
Nordwacht allen Solamûr-Gläubigen angetan hatte. Dieses Verschweigen
eines gemeinen Mordes an einem Ehrenwerten Priester gehe nicht nur den
König, sondern jeden adligen Herrn an, der sich von Solamûr
beschienen glaubt. Und um seinen Feldzug gegen die Nordwacht rechtlich
abzusichern, bot sich Drakan dem König für ein Jahr als Vasall an, in
dessen Auftrage er handeln würde.
Duncan begann langsam, Drakans
Besuch zu verstehen, vor allem auch, welch trickreiche Pläne im Kopf des
Freiherrn vorgingen. Schmunzelnd erklärte Duncan sich einverstanden, da er
ohnehin vorhatte, gegen den Verrat des Hauptmann Scofolk vorzugehen, dies bis
jetzt jedoch unterlassen hatte, um es vor den Augen der Priester nicht wie eine
Schwäche aussehen zu lassen.
So wurde ein Tag vor Ankunft des
dritten Heeres eine prunkvolle Zeremonie im Königspalast abgehalten, in
der König Duncan dem Freiherrn vom Travelwald für die Dauer eines
Jahres einen neuen Titel verlieh: Glaubensrichter von Königs
Gnaden!
Durch diesen Schachzug verlor der König nicht sein
Gesicht vor seinen Kronvasallen, als wenn er einem fremden Adligen erlaubt
hätte, in seinem Reich ein Heerzug zu führen, während ihm
andererseits niemand nachsagen konnte, daß er Feinde Solamûrs
beschützen würde. Insgeheim hatte diese Ernennung einen weiteren
Vorteil: Da Duncan genau wußte, wie stark noch der alte Glaube in seinem
Königreich vertreten war und er auch auf die Gunst dieser Untertanen
angewiesen war, überließ er es anderen, diese zu bestrafen,
während er seine Hände zumindest fast in Unschuld wusch...
Glaubensrichter Drakan befolgte des Königs Befehl, das Heer vor der Stadt
lagern zu lassen und diesem nur tagsüber zu erlauben, Shovel zu betreten.
Nach zwei Wochen der Planungen und Vorbereitungen waren Drakans Soldaten
abmarschbereit. Bis dahin hatte es sein Begleiter Bardom vermieden, sich im
Hohetempel seines Gottes blicken zu lassen, da er wußte, daß er
sich dort jedem Befehl Cantlion Unbars beugen mußte. Er wollte diesem
erst einen Besuch abstatten, wenn er siegreich aus den Grenzlanden
zurückgekehrt war, da dies seine Position enorm gestärkt hätte,
wenn er sich dann wahrscheinlich anhören mußte, mit dem
Druidenkönig, wie ihn Unbar nur schimpfte, gemeinsame Sache zu
machen.
Hauptmann Scofolk von der Nordwacht hatte den Ehrenwerten
Mikas längst vergessen und ihm wäre nie in den Sinn gekommen,
daß die Gerüchte von der Löwenschlacht mit ihm im Zusammenhang
standen. Er hatte genug damit zu tun, sich auf die Barbaren Muuralankujas zu
konzentrieren, da ihm seine Späher meldeten, daß sie bald in den
Krieg ziehen werden. Da seine Nordwacht die erste Linie der Verteidigung
bildete, bereitete er sich auf eine Belagerung vor. Er konnte nicht wissen,
daß der Zorn der Clans nicht ihn, sondern den Invasor Mubarag in Anon
treffen würde, und war um so überraschter, als ihm seine Reiter ein
Heer Gepanzerter aus Süden meldeten. Erst glaubte er, daß
dies die Verstärkung sei, welche er vor drei Tagen angefordert hatte -
doch so schnell, und vor allem so viele? Scofolk begann, sich ernsthaft zu
sorgen und schickte Boten zum Heer. Als diese nicht zurückkehrten, blieb
ihm nichts weiter, als Tag um Tag vom höchsten Turm der Nordwacht das zu
erwarten, was vielleicht seinen Untergang bedeuten könnte.
Die
Belagerung der Nordwacht
Glaubensrichter Drakan hatte es nun
eilig, da der Winter langsam nahte. Sein Plan war, Scofolk gleich zu Beginn
schwer unter Druck zu setzen, in der Hoffnung, dieser würde sich ergeben
oder heimlich das Weite suchen. So nahm er dessen Botenreiter gefangen, um
Scofolk mit seinen Ängsten im Ungewissen zu lassen.
Nach wenigen
Tagen war es dann soweit: Drakans Banner wehten am Fuße der großen
Wehranlage, sein Heer umlagerte den ganzen Turm, als der Glaubensrichter von
seinem Pferd aus folgende Worte sprach: Herr der Nordwacht, hier spricht
Drakan, Glaubensrichter von Königs Gnaden! Ich erkläre euch hiermit
für schuldig, den Ehrenwerten Priester Mikas und seine Begleiter im
Angesichte Solamûrs verraten und ihre schändliche Ermordung
gebilligt zu haben. Tretet heraus, und wir werden noch heute über euch
richten. Oder aber versteckt euch in den Mauern und sterbt alle bis zum letzten
Mann. Was sagt ihr?
Scofolk war sprachlos angesichts dieser
Anklage, da er geglaubt hatte, daß niemand im Dorf Seneirl ihn verraten
würde, da seine Worte damals die Einwohner vor dem Untergang bewahrt
hatten. Er brauchte auch nicht antworten, denn dies tat sein Bruder
Dundalk, der von Mikas Ermordung nichts wußte: Ihr sprecht
Lügen, wenn ihr meinen Bruder anklagt. Die Priester starben durch die
Hände der Barbaren, während mein Bruder ihnen damals Gastfreundschaft
gewährt hatte. Und dies ist die Wahrheit!
Nun trat Priester
Bardom vor, da er bei solch infamen Behauptungen nicht an sich halten konnte:
Eures Bruders Taten kamen ans Tageslicht, als Priester Zeltan von meinem
Orden euer Dorf Seneirl besuchte. Er fand die Spuren der Bluttat und hörte
die Worte des Verrats von jemandem, der dabei war.
Scofolk hatte
sich nun gefaßt und war gewillt, angesichts dieses Priesters nicht klein
beizugeben: Sprecht ihr vom gleichen Zeltan, welcher vor wenigen Wochen
dem Wahnsinn verfiel und seinem Gefolge befahl, die Königlichen
anzugreifen? Gebt ihr so viel auf die Worte eines Umnachteten, daß ihr
die Wahrheit nicht erkennt? Mikas wurde genauso von eurem Gott gestraft wie
Zeltan, denn beide handelten wirr.
Genug dieser
Lügen, unterbrach ihn Drakan. da ihr jegliche Schuld
abstreitet, soll das Schwert über euch richten. Und mit diesen
Worten begann die Belagerung der Nordwacht.
Hauptmann Scofolk
wußte, daß seine Mannen zu ihm halten würden, da keiner gut
auf Solamûrgläubige zu sprechen war. Der Konflikt drohte in den
Augen aller Beteiligten zu einem Kampf um den wahren Glauben zu werden, und man
bildete sich sogar ein, daß es nach der Schlacht in ganz Shovel nur noch
den Glauben der siegreichen Partei geben könne.
Die Festung war
alles andere als ein leichter Gegner, zumal viele Generationen von
Barbarenhorden Angriffe auf den Feind im Süden gewagt hatten, welche stets
erfolglos blieben. Doch das Heer Drakans war mit den starken, aber
berechenbaren Barbarenkriegern nicht zu vergleichen: von Anfang an wurden
Schutzschilde, Sturmleitern und ein großer Belagerungsturm gebaut,
während Drakans Ritter versuchten, den schwachen Punkt der Nordwacht
herauszufinden. Da für alle Belagerer feststand, daß der
Hauptangriff noch vor Einbruch des Winters erfolgen sollte, saß ihnen die
Zeit im Nacken, um alles Belagerungsgerät rechtzeitig fertigzustellen. Und
so kam es, daß in den letzten Tagen des Feenmondes, als die
nördlichen Ebenen Muuralankujas schon in einen dicken Winterpelz
gehüllt waren, die Vorbereitungen beendet waren. Glaubensrichter Drakan
hielt seinen letzten Kriegsrat ab, in dem die endgültige Strategie
besprochen und die Parolen ausgegeben wurden. Dann begann der langerwartete
Angriff auf die Nordwacht.
Der Schwur auf Rache
Den
ganzen Vormittag über liefen Drakans Soldaten vergeblich gegen die alten
Mauern der Feste Sturm, denn Scofolk war bestens ausgerüstet und gewillt,
noch ein weiteres Jahr in der Wacht auszuharren. Doch dann, gegen Mittag,
gelang den Angreifern ein entscheidender Schlag: die Mauern des Ostwalles,
welche als dünn und instabil galten, gaben an einer Stelle der
hämmernden Wucht des großen Rammbocks nach und fielen in sich
zusammen. Scofolk eilte selbst mit seinen engsten Getreuen herbei, um die
Bresche zu halten, während Drakan seine Ritter rief und ihnen
entgegenritt.
In den späteren Balladen wird es heißen,
daß sich die beiden Todfeinde Drakan und Scofolk ein packendes Duell
geliefert haben, welches noch bis in die Nacht dauerte, bis der eine endlich
siegte. Doch in Wirklichkeit spielte es sich anders ab: Drakan lenkte sein
Pferd genau auf die Bresche zu, um mit seiner Lanze bis zum Innenhof
vorzustoßen. Mit donnerndem Hufe folgten seine Ritter, welche ebenfalls
Lanzen anlegten. Keiner von Scofolks Kriegern floh bei dem Anblick dieser
Reiterschar, doch wurde vielen dieser Heldenmut sogleich mit dem Tode belohnt.
Doch Drakans Pferd war von einem Speer tödlich getroffen und so
stürzte sein Reiter auf den Boden des Innenhofes. Sofort hatten seine
Ritter einen Kreis um Drakan gebildet, doch dieser stand nicht wieder auf. In
dem Glauben, daß ihr Anführer tot und alles vergebens sei,
überfiel sie die Kampfeswut. Sie stürmten auf die Brüstungen und
brachten vielen wackeren Kriegern den Tod, wodurch der Weg frei war für
die anstürmenden Bauern. Noch vor Sonnenuntergang war die Nordwacht in der
Hand der Löwenkrieger und Solamûrs Banner strahlte darauf vom
höchsten Turm über das Land. Wie Drakan versprochen hatte,
überlebte niemand aus der Festung den Angriff - Scofolk war von einem der
Ritterpferde niedergeritten und sein Schädel zertrümmert worden -
niemand außer einem Mann. Scofolks Bruder Dundalk war schon drei Wochen
vorher durch die Reihen der Belagerer geschlichen, um aus den umliegenden
Dörfern Kämpfer zu rekrutieren. Er erreichte am Morgen nach der
Schlacht mit einigen hundert Bauern die Feste und sah, daß alles
vergebens war. Nachdem er sein Heer wieder entlassen hatte, da er mit ihnen
keinesfalls die Nordwacht hätte einnehmen können, zog er sein Schwert
und schwor Drakan und dem Solamûr-Kult ewige Rache. Dann verschwand auch
er vom Schlachtfeld, einen letzten Blick auf seine Heimatfeste richtend.
Glaubensrichter Drakan hatte jedoch den Sturz überlebt und kam
zur Besinnung, nachdem Bardom seine Wunden versorgt hatte. Er konnte nach
dieser Schlacht nie wieder richtig gehen, doch um so stolzer war er auf seinen
Sieg.
Boten wurden ausgeschickt, welche bis nach Cal von der
ruhmreichen Schlacht künden sollten, während Drakan mit seinen
verbliebenen Löwenkriegern auf der Nordwacht überwinterte. Im
Frühjahr des nächsten Jahres wurde er von einem neuen Hauptmann des
Königs abgelöst und zog wieder zurück in seine Heimat. Seine
Ankunft löste in Moisen einen Freudentaumel aus, und so zog er weiter bis
nach Cal, wo er von Ras Thevis persönlich höchste Ehrung erfuhr. Ihm
wurde der Beiname Solamûrs Schwert verliehen und er wurde vom
König in den Grafenstand erhoben und erhielt weitere Ländereien.
Damit war auch der letzte der adeligen Löwenkrieger heimgekehrt
und schloß ein Kapitel in der Geschichte, von dem fast alle Beteiligten
froh waren, als es vorbei war. Die meisten Narben im Königreich Shovel
waren schnell verheilt und nur wenige Spuren kündeten später von den
Ereignissen des Jahres 596 [???].
Nur der Begriff des
Löwenkriegers war in Shovel von Dauer und bedeutete später in
den einen Geschichten ein von Solamûr selbst Gesandter, welcher die Armen
beschützt und Gerechtigkeit bringen wird, während er in den anderen
Geschichten zur Gestalt des Bösen wurde, der unartige Kinder holen kommt
oder nachts den Tod bringt...
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