Nocturna - Die Nacht der gestohlenen Schatten

Deine sehnlichste Frage wird beantwortet¸ wenn du ein Mädchen findest. Nur eine bringt dir die Antwort. Eine¸ die Ratten tanzen lässt¸ Schnürsenkel nicht binden kann und ein Herz besitzt¸ so scharf wie ihr Verstand."
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"Na¸ ein Mädchen ist immerhin besser¸ als ein haariger Fettsack oder Fischverkäufer oder wen es sonst noch so hätte treffen können¸ nicht wahr?"
"Wer hat gesagt¸ dass ein Mädchen kein haariger Fettsack sein kann?"
Vampa sucht ein Buch. Denn er ist dazu verdammt¸ dass er ewig ein Junge bleibt¸ nicht sterben¸ aber auch nicht erwachsen werden kann und kein Gedächtnis hat. Wer er ist¸ weiß er nicht. Er ist nicht der einzige. Auch Tigwid ist auf der Jagd. Beide gehören nicht gerade zur guten Gesellschaft der Stadt¸ im Gegensatz zu Apolonia Magdalena Spiegelgold¸ Tochter eines Buchhändlers¸ die bei ihrem reichen Onkel aufwächst. Die drei treffen sich anlässlich eines Einbruchs. Und müssen erkennen¸ dass sie zusammenarbeiten sollten. Denn ein Geheimbund der Dichter stiehlt Kindern ihre Geschichte und lässt die Opfer ohne Erinnerung zurück.
Autoren sind Vamps¸ die aus dem Leben anderer Bücher machen. Das ist nicht neu¸ neu aber¸ dass jemand diesen Satz wörtlich nimmt und genau das real passieren lässt. In einer Stadt¸ die zur Abwechslung nicht mittelalterlich ist¸ sondern London um 1900 gleicht¸ an das London von "Perdido Street Station"¸ an den Dämon "Bartimäus" erinnert. Und doch eine ganz eigene Welt ist.
Dass Dichter in Büchern weit mehr Bedeutung haben als in Wirklichkeit¸ ist auch nicht neu. Gerade in letzter Zeit gab es zahlreiche Fantasy und SF Romane¸ in denen sie es sind¸ die die Geschicke fiktiver Welten bestimmen. Und natürlich sind sie unheimlich wichtig¸ diese Bücher¸ egal ob in Cornelia Funkes Tintenwelt oder in Jasper Fordes Bücher um die Literaturagentin Thursday. Doch in Nuyens Welt ist das alles nicht so toll¸ die Dichter die Bösen und wer in die Fänge der Bücher gerät¸ hat Pech gehabt. Nicht nur das¸ auch die ganz eigene Welt mit ihren Figuren macht aus dem Buch nicht eines der zahlreichen "Me too" Fantasy Werke¸ sondern zeigt¸ dass die Autorin eine eigene Linie verfolgt¸ die sich auch in einer eigenen Sprache manifestiert.
Schon Nujens Erstling "Nijura" war gut geschrieben¸ aber in Nocturna hat sie eindeutig noch einmal zugelegt. Die Personen sind runder¸ der Hintergrund eigenwilliger¸ der Stil sicherer. Man darf auf weitere Bücher von ihr gespannt sein.
Für alte wie junge Fantasy-Fans ein Leseerlebnis und auch für alle¸ denen denen das Selbstlob der Literaten in manchem Buch ein wenig auf den Zeiger geht.
Über die Autorin:
Jenny Mai Nuyen wurde 1988 in München geboren¸ sie ist deutsch-vietnamesischer Abstammung. Ihre erste Geschichte schrieb sie mit fünf¸ ihren ersten Roman mit dreizehn. Sie studiert Film an der Universität von New York.
Eine Rezension von: Hans Peter Röntgen http://www.textkraft.de
